Ich muss beruflich häufig Menschen in Pflegeheimen und in Intensiv-Pflege-WGs besuchen. Zumeist geht es dabei um die Genehmigung freiheitseinschränkender Maßnahmen oder die Genehmigung zur Kündigung der Wohnung des Betroffenen.
Und dort ist sie mir aufgefallen, die „Fernseh-Folter“, der die Bewohner dieser Einrichtungen oftmals ausgesetzt sind.
Da liegen Menschen, scheinbar ohne Bewusstsein in ihren Betten, um sie herum das Gemurre und Gestottere von Sauerstoffgerät, Inhalator und Co und – ganz wichtig: der Fernseher läuft im Zimmer. Eine Sendungsauswahl scheint kaum stattzufinden, denn oftmals läuft ein Kindersender, der von Morgens bis Abends plärrende Zeichentrickfilme mit Krawumm, bumm bumm und hohen Zeichentrick-Figuren-Stimmen ausspuckt.
Es besteht der Anschein, dass die Pflegekräfte diese kontinuierliche Berieselung mit Lärm bereits ausgeblendet haben, denn sie lassen die Geräte ununterbrochen laufen – auch während sie die Person pflegen. Ein Gespräch ist da kaum möglich.
Läuft kein Fernseher, dann knarzt wenigstens ein Radio im Raum, wobei hier der eingestellte Sender nicht immer störungsfrei sein muss und von starkem Rauschen unterbrochen werden kann.
Auch da habe ich den Eindruck, dass die Pflegekräfte das Radio selbst dann nicht mehr hören, wenn sie im Zimmer des Bewohners sind.
Die Luxus-Lärm-Variante ist der CD-Player, der im Bewohnerzimmer steht und wenn der Bewohner den CD-Player nicht mehr selbst bedienen kann, im Modus „Auto-Replay“ den ganzen Tag immer wieder die gleiche CD abspielt….
Zahllos die Situationen, in denen ich während einer richterlichen Anhörung darum bitten musste, dass Fernseher, Radio oder CD-Player für die Anhörung bitte ausgestellt wird (nicht immer finde ich selbst den richtigen Knopf).
Doch mit der Beschallung in den Zimmern ist es in vielen Fällen noch nicht genug! Auch die Gemeinschaftsbereiche werden nahezu permanent – wahlweise mit Musik oder Fernsehen – beschallt. Hier allerdings mit dem feinen Unterschied, dass die Musik im besten Fall jahreszeitlich gewählt wird, was heißt, z. B. an Karneval müssen die Bewohner den ganzen Tag die Karnevalsstimmungsmusik ertragen und an Weihnachten gibt es dann die Weihnachtsmusik, wahlweise mit oder ohne Chor.
Ich verstehe es nicht!
Die Bewohner und / oder Patienten können sich in aller Regel nicht wehren. Sie müssen diese Kakophonie von Geräuschen über Stunden ertragen. Und die Pflegekräfte sind dem gegenüber offensichtlich taub geworden. Ihnen fällt es gar nicht mehr auf, mit welchem Automatismus sie die Geräte anschalten, den Lautstärkeregler hochdrehen und die hilflosen Menschen dieser Dauerbeschallung aussetzen.
Es ist gar nicht so lange her, da kam ich in das Zimmer einer bettlägerigen Frau in einem Pflegeheim: das Radio neben ihrem Kopf war sehr laut eingestellt, und ein Radiosprecher schrie durch das Zimmer, dass er die folgende Musik „nur für Michael“ spielt, der „von seiner Liebsten arg vermisst wird“.
Ich fragte die Dame, ob ich das Radio für unser Gespräch ausstellen dürfe und ging wegen der eingestellten Lautstärke davon aus, dass sie schwerhörig wäre.
Das war aber gar nicht so. Ich konnte mit ihr in ganz normaler Tonlage sprechen und sie verstand jedes Wort. Ich war daher entsetzt, und fragte mich, was es wohl bedeutet, wenn man dieser Radioberieselung in dieser extremen Lautstärke ausgesetzt ist, ohne dies selbst ändern zu können.
Als ich ging, fragte ich die Dame, ob ich das Radio wieder anstellen solle und sie vermeinte dies…
Ich sprach eine Pflegekraft darauf an, die sich – obwohl sie die Morgenpflege bei der Dame etwa eine halbe Stunde vorher durchgeführt hatte – nicht erinnern konnte, das Radio angestellt zu haben. Die Dame selbst war aber krankheitsbedingt gar nicht in der Lage dazu….
Wirklich, ich verstehe es nicht!
Dieser Lärm ist doch auch für die Pflegekräfte mindestens so zehrend und anstregend, wie die Pflegearbeit an sich. Da könnten sie sich (und andere) doch auch entlasten, indem sie auswählen, ob und wenn ja, was die Menschen und sie selbst beschallt.
Ich möchte Fernsehen, Musik und Radiosendungen nicht verteufeln. Auch ich höre Musik und Radio und sehe fern. Aber ich wähle aus. Ich lasse mich nicht den ganzen Tag berieseln – jedenfalls nicht freiwillig!
Ich bin davon überzeugt, dass es auch viele Bewohner und / oder Patienten gibt, die ebenfalls nicht ständig diesem beeinflussbarem Umgebungslärm ausgesetzt sein möchten.
Meine Bitte
Deshalb liebe Pflegekräfte, bitte denkt nach, bevor Ihr Fernseher, Radio oder CD-Player auf Dauerberieselung einstellt. Fragt die Betroffenen, ob sie heute bzw. gerade jetzt Musik oder Radio hören oder Fernsehen wollen. Und ganz wichtig: bei denen, die die Geräte nicht selbst bedienen können, bitte geht unbedingt zwischendurch mal nachfragen, ob das Gedudel noch erwünscht ist. Und bei jenen, die nicht antworten können, wählt bitte sehr genau aus, was Ihr ihnen auf die Ohren haut. Und auch hier: bitte mal Pause machen!
So ich schreibe jetzt eine Pflegeverfügung mit dem Inhalt, dass ich keine Dauerberieselung mit Radio, Fernsehen und CD- oder MP3-Player will!
Wenn Sie Fragen zum Widerspruch, zur Pflegeeinstufung, zur Organisation der häuslichen Pflege, zum Umgang mit Ihrem demenzerkrankten Angehörigen, zu Ihrer Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung oder anderen pflegerelevanten Themen haben, kann ich Ihnen bestimmt helfen. Ich berate Sie professionell und kostengünstig.
Also, sprechen Sie mich bitte an!