Ein Jahr Pflegegrade – Erfahrungen

Nun sind es schon 13 Monate, in denen die Pflegebedürftigkeit nicht mehr nach Zeit, sondern in „Verhaltensweisen, Einschränkungen bei den Fähigkeiten und der Selbstständigkeit“ gemessen wird.
Vor seiner Einführung wurde das neue System hoch gelobt. Alles sollte besser werden. Mehr Pflegebedürftige sollten Leistungen erhalten. Die Leistungen der Pflegeversicherung sollten vor allem bei denen ankommen, die geistige und / oder psychische Einschränkungen haben.

MDS feiert das neue System

Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) hat im Januar einen ersten Bericht über die Erfahrungen mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff herausgegeben. Aus Sicht des Verbandes war der Praxistest erfolgreich. Mehr Menschen würden nun früher Leistungen  aus der Pflegeversicherung erhalten.
Grundsätzlich stimmt dies – theoretisch. Viele werden jetzt in den Pflegegerad 1 eingestuft, hinter dem nur wenige Leistungen der Pflegeversicherung stehen. Versicherte erhalten Pflegehlfsmittel, Wohnungsanpassung, haben Anspruch auf Beratung und auf Entastungsleistungen. Ein Pflegegeld wird nicht gezahlt, die Entlastungsleistungen dürfen zwar in Pflegesachleistungen umgewandelt werden, reichen dann aber grade einmal für einmal wöchentliches Duschen aus.
Haushaltshilfen für 125 € monatlich sind kaum zu bekommen oder völlig unzureichend. Den helfenden Partnern oder Kindern darf man den Entlastungsbetrag als kleine „Motivationsspritze“ (wie etwa das Pflegegeld) nicht geben. Der Nutzen ist insofern eher minimal.

Zudem – und das betrachte ich als viel schwerwiegender – wird dieser Pflegegrad von den Gutachtern häufig auch als „Abwimmel-Pflegegrad“ eingesetzt. Das heißt, die Gutachter sagen den Versicherten, dass sie einen Pflegegrad erhalten, verschweigen aber, dass es „nur“ der Pflegegrad 1 sein wird.
Noch schlimmer ist es, wenn Gutachter das Argument herausholen: „Nun seien Sie doch froh, Sie haben ja einen Pflegegrad. Früher hätten Sie gar nichts bekommen.“
Ist das fair? Nein, ist es nicht!

Jeder zweite Widerspruch erfolgreich

Spreche ich für mich, so war im letzten Jahr mit zwei (erwarteten) Ausnahmen jeder Widerspruch erfolgreich. Bundesweit betrachtet war es jedoch jeder zweite Widerspruch, der erfolgreich beendet wurde. Das berichtete zumindest kürzlich die Welt am Sonntag, wie es bei MDR aktuell zu lesen ist.
Es ist traurig, wenn nur 50 % der Pflegebedürftigen auf Anhieb zu ihrem Recht kommen.
Diese Statistik im Hinblick auf Widerspruchsverfahren entspricht im Übrigen den Zahlen der alten Begutachtungs-Richtlinien, die – um ein neues System einführen zu können – jahrelang als „ungerecht“ verteufelt wurden. Auch hier waren im Schnitt 50 % der Gutachten falsch und die Widerspruchsverfahren erfolgreich.

Fatal ist natürlich, dass bei dieser „jede 2. Entscheidung war falsch“ Erkenntnis nur die Verfahren erfasst sind, bei denen sich Versicherte gegen einen ungerechten Pflegegrad gewehrt haben. Geht man nun davon aus, dass nur 70 % der Versicherten in der Lage sind, sich gegen eine ungerechte Einstufung zu wehren, müsste die Zahl der erfolgreichen Widersprüche im Verhältnis zu den richtigen Einstufungen sicher höher sein…

Insofern ist zwar festzustellen, dass zahlenmäßig mehr Menschen einen Pflegegrad erhalten, gerechter, wie angepriesen, scheint das neue System (oder dessen Umsetzung) aber nicht zu sein.
Denn wenn jedes zweite Pflegegutachten im Widerspruchsverfahren zugunsten des Versicherten geändert werden muss, dann läuft etwas gehörig falsch.

Wenn Sie Fragen zum Widerspruch, zur Pflegeeinstufung, zur Organisation der häuslichen Pflege, zum Umgang mit Ihrem demenzerkrankten Angehörigen, zu Ihrer Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung oder anderen pflegerelevanten Themen haben, kann ich Ihnen bestimmt helfen. Ich berate Sie professionell und kostengünstig.
Also, sprechen Sie mich bitte an!